Verkehrsrecht
URTEIL
IM NAMEN DES VOLKS
in dem Rechtsstreit [ zurück...]
Verkündet am:
20. Oktober 2009 Böhringer-Mangold,
Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
BGH, Urteil vom 20. Oktober 2009 - VI ZR 53/09 - LG Würzburg AG Würzburg
BGB §~ 249 Hb, 254 Abs. 2 A
a) Der Geschädigte darf seiner (fiktiven) Schadensberechnung grundsätzlich die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (Bestätigung des Senatsurteils BGHZ 155, 1 ff.).
b) Will der Schädiger den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt der Schaim Sinne des § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen “freien Fachwerkstatt“ verweisen, muss der Schädiger darlegen und ggf. bedass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht.
c) Zur Frage, unter welchen Umständen es dem Geschädigten gleichwohl unsein kann, sich auf eine technisch gleichwertige Reparaturmöglichaußerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen.
BGH, Urteil vom 20. Oktober 2009 - VI ZR 53/09 - LG Würzburg AG Würzburg
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. Oktober 2009 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Zoll, Wellner und Stöhr sowie die Richterin von Pentz
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Würzburg vom 21. Januar 2009 (nicht: 17. Dezember 2008 - insoweit wird der verkündete Tenor berich§ 319 ZPO) aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandund Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger macht gegen den Beklagten restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend. Dabei wurde das Fahrzeug des Klägers, ein zum Unfallzeitpunkt ca. 9 1/2 Jahre alter VW Golf mit einer Laufleistung von über 190.000 km, beschädigt.
2 Die Haftung des Beklagten steht dem Grunde nach außer Streit. Die Parstreiten nur noch um die Frage, ob sich der Kläger im Rahmen der fiktiven Abrechnung seines Fahrzeugschadens auf niedrigere Stundenverrechnungsätze einer ihm vom Schädiger bzw. von dessen Haftpflichtversicherer benann“freien Karosseriefachwerkstatt“ verweisen lassen muss oder ob er auf der Grundlage des von ihm vorgelegten Sachverständigengutachtens die Stundenätze einer markengebundenen VW-Fachwerkstatt erstattet verkann.
3 Der Haftpflichtversicherer des Beklagtenfahrzeugs hat die Stundenverätze (Arbeitslohn und Lackierkosten) entsprechend den günstigeren Preisen der benannten freien Reparaturwerkstatt um insgesamt 220,54 € geürzt. Dieser Differenzbetrag nebst Zinsen ist Gegenstand der vorliegenden Klage.
4 Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die zugelassene Berufung des Klägers hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der Klage antragsgemäß stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugeRevision begehrt der Beklagte eine Wiederherstellung des erstinUrteils.
Entscheidungsgründe:
5 Das Berufungsgericht ist der Auffassung, dass ein Geschädigter auch bei fiktiver Abrechnung der Reparaturkosten auf der Grundlage eines Sachverständie Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen dürfe und sich nicht auf etwa günstigere Stunätze einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt verweilassen müsse. Zwar habe der Bundesgerichtshof in seinem “Porsche-Urteil“ vom 29. April 2003 - VI ZR 398/02 - BGHZ 155, 1 if. ausgeführt, dass der Geädigte, der eine ihm mühelos und ohne Weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit habe, sich auf diese verweisen lassen müsse. Auch könne im Streitfall davon ausgegangen werden, dass die Reparadurch die seitens des Haftpflichtversicherers des Beklagten benannWerkstatt “rein technisch betrachtet“ gleichwertig erbracht werden könnten. Jedoch könne bei der Ermittlung der Reichweite des Begriffs der “Gleichwertig“ im Sinne der vorgenannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht allein auf die technische Vergleichbarkeit abgestellt werden. Vielmehr müsse der in der Praxis honorierte wertbildende Faktor einer Reparatur in einer marFachwerkstatt Berücksichtigung finden, um der Dispositionsbeund der dem Geschädigten zustehenden Ersetzungsbefugnis in ausreiWeise gerecht zu werden.
II.
6 Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
7 1. Das Berufungsgericht ist zutreffend von dem Senatsurteil BGHZ 155,
1 ff. (sog. Porsche-Urteil) ausgegangen, in welchem der Senat entschieden hat, dass der Geschädigte, der fiktive Reparaturkosten abrechnet, der Schadensbegrundsätzlich die Stundenverrechnungssätze einer markengebundeFachwerkstatt zugrunde legen darf.
8 Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, kann der Geschädigte vom Schädiger gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag beanspruchen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Fahrzeugeigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte (vgl. SeBGHZ 61, 346, 349f.; 132, 373, 375f.; vom 4. Dezember 1984
- VI ZR 225/82 - VersR 1985, 283, 284 f. und vom 15. Februar 2005 - VI ZR 74/04 - VersR 2005, 568). Der Geschädigte leistet im Reparaturfall dem Gebot zur Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legt, die ein von ihm eingeschalteSachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. Senatsurteil BGHZ 155, 1,3). Wählt der Geschädigte den vorbeschriebenen Weg der Schadensberechnung und genügt er damit bereits dem Wirtschaftlichnach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, so begründen besondere Umstände, wie das Alter des Fahrzeuges oder seine Laufleistung keine weitere Darledes Geschädigten.
9 2. In seinem Urteil BGHZ 155, 1 ff. ist der Senat dem dortigen Beruvom Ansatz her allerdings auch in der Auffassung beigetreten, dass der Geschädigte, der mühelos eine ohne Weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit hat, sich auf diese verweisen lassen muss. Rechnet der Geschädigte - konkret oder fiktiv - die Kosten der Instandals Schaden ab und weist er die Erforderlichkeit der Mittel durch eine Reparaturkostenrechnung oder durch ein ordnungsgemäßes Gutachten eines Sachverständigen (vgl. BGHZ, aaO 5. 4) nach, hat der Schädiger die Tatsadarzulegen und zu beweisen, aus denen sich ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB ergibt.
10 a) Welche konkreten Anforderungen in diesem Zusammenhang an eine “gleichwertige“ Reparaturmöglichkeit zu stellen sind, konnte im vorgenannten Senatsurteil offen bleiben, weil der dort vom Berufungsgericht der Schadensabrechnung zugrunde gelegte abstrakte Mittelwert der Stundenverrechnungssätze aller repräsentativen Marken- und freien Fachwerkstätten einer Region als staermittelte Rechengröße nicht den zur Wiederherstellung erforderlichen Betrag repräsentierte. Im vorliegenden Fall ist die Frage jedoch von Bedeutung, weil nach dem im Streitstand des Berufungsurteils referierten Vortrag des Bedie aufgezeigte, dem Kläger ohne Weiteres zugängliche Karosseriein der Lage ist, die Reparatur ebenso wie jede markengebundene Fachwerkstatt durchzuführen. Da das Berufungsgericht - von seinem Standaus folgerichtig - die vom Kläger zulässigerweise (vgl. § 138 Abs. 4 ZPO) mit Nichtwissen bestrittene technische Gleichwertigkeit der Reparatur, ohne Feststellungen zu treffen, lediglich unterstellt hat, ist hiervon für die rechtliche Prüfung auszugehen.
11 b) Die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen es dem Geädigten im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB bei der (fiktiven) Schadensabrechnung zumutbar ist, sich auf eine kostengünstigere Reparatur in einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen, ist in der Literatur und instanzgerichtlichen Rechtspreumstritten (vgl. zum Überblick über den Meinungsstand etwa Figgener NJW 2008, 1349ff. und NZV 2008, 633 f.; Rütten, SVR 2008, 241 ff.; Balke SVR 2008, 56 ff.; Zschieschack NZV 2008, 326 ff.; Eggert Verkehrsrecht aktuell 2007, 141 ff.; Engel DAR 2007, 695 ff.; Nugel ZfS 2007, 248 ff. und Wenker VersR 2005, 917ff.).
12 c) Nach Auffassung des erkennenden Senats ist eine differenzierte Begeboten, die sowohl dem Interesse des Geschädigten an einer Totalreparation als auch dem Interesse des Schädigers an einer Geringhaltung des Schadens angemessen Rechnung trägt.
13 aa) Die Zumutbarkeit für den Geschädigten, sich auf eine kostengünstiReparatur in einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen, setzt - wovon auch das Berufungsgericht ausgegangen ist und was von der Revision nicht in Zweifel gezogen wird - jedenfalls eine technische Gleich-wertigkeit der Reparatur voraus. Will der Schädiger mithin den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohWeiteres zugänglichen “freien Fachwerkstatt“ verweisen, muss der Schädidarlegen und ggf. beweisen, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht. Dabei sind dem Vergleich die (markt-)üblichen Preise der Werkstätzugrunde zu legen. Das bedeutet insbesondere, dass sich der Geschädigte im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht nicht auf Sonderkonditionen von Vertragswerkstätten des Haftpflichtversicherers des Schädigers verweisen lasmuss. Andernfalls würde die ihm nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zustehenErsetzungsbefugnis unterlaufen, die ihm die Möglichkeit der Schadensbehein eigener Regie eröffnet (vgl. Senatsurteile BGHZ 143, 189, 194f.; vom 21. Januar 1992 -VI ZR 142/91 - VersR 1992, 457; vom 6. April 1993 - VI ZR 181/92 - VersR 1993, 769 und vom 12. Juli 2005- VI ZR 132/04 - VersR 2005, 1448, 1449). Dies entspricht dem gesetzlichen Bild des Schadensersatnach dem der Geschädigte Herr des Restitutionsgeschehens ist und grundsätzlich selbst bestimmen darf, wie er mit der beschädigten Sache verährt (vgl. Senatsurteile BGHZ 143, 189, 194 f. und vom 12. Juli 2005 - VI ZR 132/04 - aaO).
14 bb) Steht unter Berücksichtigung dieser Grundsätze die Gleichwertigkeit der Reparatur zu einem günstigeren Preis fest, kann es für den Geschädigten gleichwohl unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht unzumutsein, eine Reparaturmöglichkeit in dieser Werkstatt in Anspruch zu nehmen. Dies gilt vor allem bei Fahrzeugen bis zum Alter von drei Jahren. Denn bei neubzw. neuwertigen Kraftfahrzeugen muss sich der Geschädigte im Rahmen der Schadensabrechnung grundsätzlich nicht auf Reparaturmöglichkeiten verlassen, die ihm bei einer späteren Inanspruchnahme von Gewährleiseiner Herstellergarantie und/oder von Kulanzleistungen Schwiebereiten könnten. Im Interesse einer gleichmäßigen und praxisgerechRegulierung bestehen deshalb bei Fahrzeugen bis zum Alter von drei Jahgrundsätzlich keine rechtlichen Bedenken gegen eine (generelle) tatrichterSchätzung der erforderlichen Reparaturkosten nach den Stundenverrechätzen einer markengebundenen Fachwerkstatt.
15 cc) Bei Kraftfahrzeugen, die älter sind als drei Jahre, kann es für den Geschädigten ebenfalls unzumutbar sein, sich im Rahmen der Schadensabauf eine alternative Reparaturmöglichkeit außerhalb einer markengeFachwerkstatt verweisen zu lassen. Denn auch bei älteren Fahrzeukann - wie vom Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenom- die Frage Bedeutung haben, wo das Fahrzeug regelmäßig gewartet, “scheckheftgepflegt“ oder ggf. nach einem Unfall repariert worden ist. Dabei besteht - wie entsprechende Hinweise in Verkaufsanzeigen belegen - bei einem großen Teil des Publikums insbesondere wegen fehlender Überprüfungsmögdie Einschätzung, dass bei einer (regelmäßigen) Wartung und Repaeines Kraftfahrzeugs in einer markengebundenen Fachwerkstatt eine höWahrscheinlichkeit besteht, dass diese ordnungsgemäß und fachgerecht erfolgt ist. Deshalb kann auch dieser Umstand es rechtfertigen, der Schadensdie Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachzugrunde zu legen, obwohl der Schädiger oder dessen Haftpflichtverdem Geschädigten eine ohne Weiteres zugängliche, gleichwertige und günstigere Reparaturmöglichkeit aufzeigt. Dies kann etwa auch dann der Fall sein, wenn der Geschädigte konkret darlegt (zur sekundären Darlegungslast (vgl. etwa Senatsurteil BGHZ 163, 19, 26), dass er sein Kraftfahrzeug bisher stets in der markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lasoder - im Fall der konkreten Schadensberechnung - sein besonderes Intean einer solchen Reparatur durch die Reparaturrechnung belegt. Dabei kann der Tatrichter u.a. nach § 142 ZPO anordnen, dass der Geschädigte oder ein Dritter die in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen, auf die sich der Geschädigte bezogen hat, etwa das “Scheckheft“ oder Rechnungen über die Durchführung von Reparatur- und/oder Wartungsarvorlegt.
16 3. Nach diesen Grundsätzen kann das Berufungsurteil nicht Bestand haDa der Kläger keine erheblichen Umstände dargetan hat, nach denen ihm eine Reparatur seines 14 Jahre alten Fahrzeugs außerhalb einer markengeFachwerkstatt auch unter dem Gesichtspunkt seiner Schadensminunzumutbar sein könnte, war der Beklagte nicht daran gehindert, den Kläger auf eine gleichwertige günstigere Reparaturmöglichkeit zu verweiIm Streitfall war das Urteil des Berufungsgerichts mithin aufzuheben und an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil das Berufungsgericht zur Frage der Gleichwertigkeit der aufgezeigten alternativen Reparaturmöglichkeit noch keine Feststellungen getroffen hat.
Vorinstanzen:
AG Würzburg, Entscheidung vom 10.07.2008 - 16 C 1235/08 -
LG Würzburg, Entscheidung vom 21.01.2009 -42 5 1799/08 -
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